(Quelle: Freie Presse, Plauener Zeitung, erschienen am 07.10.2017 | mit freundlicher Genehmigung zur Nutzung Text und Foto)
Anett Wierick war 24, als ihr Leben aus den Fugen geriet. Neun Monate nach der Geburt ihrer ersten Tochter und kurz nach dem Umzug von der Lausitz ins Vogtland entwickelte sie eine Psychose. „Ich konnte nicht mehr essen, nicht mehr schlafen, es wird als schizo-affektive Erkrankung bezeichnet“, schildert die heute 35-Jährige. Sie kam in eine Klinik, wurde auf Medikamente eingestellt, ihr Zustand verbesserte sich.
Nach der Geburt der zweiten Tochter folgte ein Auf und Ab: Mal ging es ihr super, sie konnte wieder in einer Apotheke arbeiten – dann verfiel sie in tiefe Depressionen, offenbar ausgelöst von Medikamenten, die die Psychose bekämpfen sollten. Völlig antriebslos verbrachte sie ganze Tage im Bett. Mit ihren kleinen Töchtern konnte sie nichts anfangen, empfand nichts für sie. Wenn ihr Mann den Kindern abends im Bett das vertraute Schlaflied vorsang, dachte sie: „Was soll ich da?“ Sie fühlte sich wie ein Fremdkörper, der nicht dazu gehörte. „Ich war in einem tiefen Loch, kam nicht heraus.“
Die Krankheit verlief bei Anett Wierick so schwer, dass die Ärzte schließlich zum letzten Mittel der Elektrokrampftherapie griffen: Durch kurze Stromimpulse wird im Gehirn ein epileptischer Anfall ausgelöst. „Danach wusste ich vieles nicht mehr – das war vielleicht besser“, meint die junge Frau. Doch sie fand aus der Depression heraus und langsam zurück ins Familienleben. Das war inzwischen nur dank der ständigen Unterstützung von Schwiegermutter, Mutter und Freundinnen weitergelaufen, die sich abwechselnd um die beiden kleinen Mädchen gekümmert hatten.
Das ist ein schönes Kollektiv – sie fangen mich auf, geben mir Halt
Sie entlasteten so den Ehemann, der als selbstständiger Ingenieur keine geregelten Arbeitszeiten hat und nebenbei den Bau des Eigenheims koordinierte. „Es gab einen festen Plan, bei wem die Mädchen an bestimmten Tagen sind, sie brauchten ja Stetigkeit und Sicherheit.“ Ohne die beiden Elternhäuser und ohne den Halt in ihrem christlichen Gemeindekreis, zu dem auch die Freundinnen zählen, hätte die Familie diese insgesamt fünf schweren Jahre nicht überstanden – da ist Anett Wierick sicher. „Der Glaube hat auch mir selbst Kraft gegeben“, sagt sie. „Trotz allem wusste ich immer: Es gibt einen Gott, der mich trägt.“
Während die junge Falkensteinerin ihr Privatleben nach der Gesundschreibung 2012 nach und nach normalisieren konnte, blieb der Wiedereinstieg ins Berufsleben eine hohe Hürde. Dem direkten Kundenkontakt fühlte sie sich nicht gewachsen – nicht wegen der Kunden an sich, sondern wegen der Beratung, die sie ihnen dann aus dem Stand geben sollte. Das erste Arbeitsverhältnis nach der Krankheit scheiterte schnell. Dort habe man auch wenig Verständnis für ihre Probleme gezeigt, meint Anett Wierick. Ihre Ärztin („sie war immer sehr liebe- und verständnisvoll“) gab ihr dann den Tipp, sich ans Berufliche Trainingszentrum (BTZ) in Plauen zu wenden. Sie stellte den Kontakt zu dieser Spezialeinrichtung zur beruflichen Rehabilitation her, die sich ausschließlich um Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen kümmert.
Ab Oktober 2013 konnte sie dort trainieren, gewann wieder Selbstvertrauen. „Das ist eine Super-Einrichtung, die kann ich empfehlen. Dort geht es wirklich um dich“, sagt Anett Wierick. „Sie gucken, was zu dir passt.“ Eigentlich glaubte sie selbst nicht mehr an die Rückkehr in eine Apotheke. Doch das BTZ vermittelte ihr einen Praktikumsplatz in der Central-Apotheke Falkenstein – im Blisterzentrum, wo Medikamente für die Bewohner mehrerer Heime zusammengestellt und verpackt werden. Eine Einstellung wurde zunächst ausgeschlossen. Doch dann fielen mehrere Kolleginnen gleichzeitig aus, Anett Wierick bekam einen Arbeitsvertrag und Verantwortung fürs Blisterzentrum. „Das war schwierig, aber mein Chef stand immer hinter mir, und die Kolleginnen sind super“, sagt sie. „Das ist ein schönes Kollektiv – sie fangen mich auf, geben mir Halt. Leider ist das nicht selbstverständlich.“
Heute geht sie gern auf Arbeit, hat ihre Versagensängste überwunden. Medikamente nimmt sie nach wie vor. „Ich bin dankbar, dass diese schwere Zeit vorbei ist“, sagt die junge Falkensteinerin. „Jeder Tag ist ein Geschenk.“